
In der Welt der Medizin ist Lithium seit Langem als wirksames Medikament zur Behandlung bipolarer Störungen bekannt. In dieser Funktion hat es unzähligen Menschen geholfen, ihr Leben zu stabilisieren. Doch abseits der klinischen Psychiatrie hat sich in den vergangenen Jahren ein neues, faszinierendes Forschungsfeld entwickelt, das Lithium mit einem viel breiteren Spektrum an gesundheitlichen Vorteilen in Verbindung bringt – insbesondere im Bereich der Langlebigkeitsforschung. Die Vorstellung, dass dieser Stoff nicht nur psychische Leiden lindert, sondern auch die Zellgesundheit fördert und das Gehirn vor altersbedingten Krankheiten schützt, hat die Wissenschaftler aufhorchen lassen. Die Debatte um die potenziellen Vorteile von niedrig dosiertem Lithium ist jedoch komplex, speziell da es in der Europäischen Union nicht als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen ist.
Die ersten Hinweise auf die positive Wirkung von Lithium in geringen Mengen stammen aus epidemiologischen Studien. Bereits in den 1970er Jahren wurde festgestellt, dass Regionen, deren Trinkwasser einen natürlich höheren Lithiumgehalt aufwies, eine geringere Rate an Suiziden und Gewalttaten verzeichneten. Neuere Studien, wie eine Untersuchung an der Medizinischen Universität Wien im Jahr 2011, bestätigten diese Beobachtungen für Österreich. Die Korrelation blieb selbst dann signifikant, wenn sozioökonomische Faktoren berücksichtigt wurden. Auch wenn diese Beobachtungen keinen Kausalzusammenhang beweisen, legen sie doch die Vermutung nahe, dass selbst Spurenmengen von Lithium eine positive Wirkung auf die menschliche Psyche haben könnten.
Diese Erkenntnisse beflügelten die Forschung an der Rolle von Lithium jenseits seiner Funktion als Stimmungsstabilisator. Wissenschaftler begannen zu fragen, ob diese kleinen Mengen auch andere, weniger offensichtliche positive Effekte haben könnten, die für ein langes, gesundes Leben von Bedeutung sind. Die Forschung verlagerte sich vom epidemiologischen Feld in die molekulare Biologie, um die dahinterliegenden Mechanismen zu entschlüsseln.
Das menschliche Gehirn ist eines der komplexesten Organe und gleichzeitig extrem anfällig für altersbedingte Schäden. Die Neuroprotektion, also der Schutz der Nervenzellen, ist ein zentraler Aspekt der Langlebigkeitsmedizin. Hier scheint Lithium eine vielversprechende Rolle zu spielen. Eine der wichtigsten Wirkungen von Lithium ist die Hemmung des Enzyms Glykogen-Synthase-Kinase-3β (GSK-3β). Dieses Enzym ist an einer Vielzahl zellulärer Prozesse beteiligt, und eine übermäßige Aktivität wird mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht.
Die Hemmung von GSK-3β durch Lithium hat weitreichende Konsequenzen:
Diese neuroprotektiven Effekte legen die Vermutung nahe, dass Lithium das Gehirn nicht nur vor Schäden schützt, sondern auch seine Fähigkeit zur Reparatur und Erneuerung unterstützt. Eine Langzeitstudie aus dem Jahr 2022, die an der Universität Cambridge durchgeführt wurde, hat ergeben, dass Patienten, die über längere Zeit therapeutische Dosen von Lithium zur Behandlung psychischer Störungen einnahmen, seltener an Alzheimer und anderen Demenzen erkrankten. Und das, obwohl ihre Grunderkrankung ihr Risiko normalerweise erhöht hätte.
Die vielversprechenden neuroprotektiven Effekte von Lithium im Gehirn werfen die Frage auf, ob es auch eine direkte Wirkung auf die Lebensspanne haben könnte. Erste Antworten auf diese Frage kommen aus der Grundlagenforschung an Tiermodellen. Eine Studie aus dem Jahr 2016, die am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln durchgeführt wurde, zeigte, dass Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), denen geringe Dosen von Lithium verabreicht wurden, ihre Lebensdauer um 16 Prozent verlängerten. Eine andere, im Fachjournal PNAS veröffentlichte Untersuchung (2019), konnte sogar eine Verlängerung der Lebensspanne um 48 Prozent in einer Dreifachkombination mit anderen Wirkstoffen erreichen.
Diese Ergebnisse, obwohl an einfachen Organismen erzielt, sind für die Altersforschung von großer Bedeutung, da sie auf die zellulären und molekularen Mechanismen hindeuten, die auch im Menschen eine Rolle spielen könnten. Die Forscher konzentrierten sich dabei erneut auf die Hemmung der GSK-3β, die als ein zentraler Regulator des Alterungsprozesses in vielen Organismen gilt.
Ein zentraler Punkt in der Debatte um Lithium als Nahrungsergänzungsmittel ist die Frage der Dosierung und der Form des Salzes. Therapeutisches Lithium, das zur Behandlung von bipolaren Störungen eingesetzt wird, liegt in der Regel als Lithiumcarbonat vor. Die Dosierung liegt dabei im Bereich von mehreren hundert Milligramm pro Tag. Die therapeutische Breite von Lithium ist sehr gering, was bedeutet, dass der Übergang von einer wirksamen Dosis zu einer toxischen Dosis fließend ist. Bereits geringfügig zu hohe Blutspiegel können zu Nierenschäden, Schilddrüsenfehlfunktionen und in schweren Fällen sogar zu neurologischen Symptomen wie Krampfanfällen oder Koma führen. Angesichts dessen ist eine regelmäßige Blutspiegelkontrolle unter ärztlicher Aufsicht unerlässlich.
Im Gegensatz dazu wird in der Diskussion um Nahrungsergänzungsmittel oft von mikrodosiertem Lithium gesprochen, das in Mengen von nur wenigen Milligramm pro Tag eingenommen wird. Hier kommt häufig die Verbindung Lithiumorotat ins Spiel. Befürworter von Lithiumorotat behaupten, dass es im Vergleich zu Lithiumcarbonat eine bessere Bioverfügbarkeit aufweist und in niedrigeren Dosen ebenso wirksam, aber weniger toxisch sei. Eine Studie von Pacholko et al. aus dem Jahr 2023 an Mäusen legt nahe, dass Lithiumorotat tatsächlich wirksamer und weniger toxisch sein könnte.
Allerdings gibt es zu diesen Behauptungen keine ausreichenden und von unabhängigen Instanzen durchgeführten Langzeitstudien am Menschen, die eine abschließende wissenschaftliche Bewertung zulassen. Daher bleibt die Sicherheit von Lithiumorotat als Nahrungsergänzungsmittel in vielen Ländern, einschließlich der EU, umstritten und seine Verwendung ist aus regulatorischen Gründen nicht als sicher eingestuft.
Der Umstand, dass Lithium in der EU nicht als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden darf, hat nichts mit einer fehlenden Anerkennung der Forschung zu tun, sondern ist eine regulatorische Entscheidung, die vorwiegend auf Sicherheitsbedenken beruht. Die Europäische Union stuft Lithium nicht als essenzielles Spurenelement ein, da kein Mindestbedarf wissenschaftlich festgelegt wurde und ein Mangel im klassischen Sinne (wie bei Eisen oder Jod) nicht definiert ist. Jede Form von Lithium, die eine physiologische Wirkung im menschlichen Körper entfaltet, wird daher als Arzneimittel betrachtet.
Die Europäische Kommission und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben in der Vergangenheit Anträge auf Zulassung von Lithium als Nahrungsergänzungsmittel abgelehnt. Der Hauptgrund ist, dass selbst geringe Mengen bei unsachgemäßer Einnahme oder in Kombination mit bestimmten Medikamenten (z. B. Diuretika) zu gefährlich hohen Konzentrationen im Blut führen könnten. Das schmale therapeutische Fenster von Lithium macht eine unkontrollierte Einnahme zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko. Daher bleibt die Substanz, unabhängig von ihrer potenziellen Anti-Aging-Wirkung, ausschließlich der ärztlichen Verschreibung vorbehalten.
Die Forschung zu den neuroprotektiven und potenziell langlebigkeitsfördernden Eigenschaften von Lithium ist beeindruckend und eröffnet eine neue Perspektive auf diesen bekannten Stoff. Die Ergebnisse aus Tiermodellen und die Beobachtungen aus Langzeitstudien am Menschen sind vielversprechend und deuten darauf hin, dass die molekularen Mechanismen, die der Wirkung von Lithium zugrunde liegen, für die Prävention altersbedingter neurodegenerativer Erkrankungen von entscheidender Bedeutung sein könnten.
Die Behauptung, dass Lithium eine Demenz umkehren könne, bleibt jedoch spekulativ. Bisherige Studien haben bestenfalls gezeigt, dass es das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen könnte, und diese Ergebnisse stammen zumeist aus Tiermodellen. Die Übertragung auf den Menschen muss in klinischen Studien erst noch bestätigt werden.
Für den Einzelnen ist es entscheidend, die Fakten von den Mythen zu trennen. Die Einnahme von Lithium, selbst in geringen Dosen, ist kein triviales Unterfangen und sollte nicht ohne ärztliche Kontrolle erfolgen. Während die Forschung an neuartigen und sicheren Lithium-Verbindungen weitergeht, bleibt die derzeitige Gesetzeslage in der EU ein wichtiger Schutz vor unkontrolliertem Gebrauch. Die Zukunft wird zeigen, ob die Wissenschaft eine Möglichkeit findet, die potenziellen Vorteile von Lithium für die Langlebigkeit sicher und flächendeckend zugänglich zu machen – aber bis dahin bleibt es ein Thema für die Forschung, nicht für den Drogeriemarkt.
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