Die menschliche Faszination für Langlebigkeit und Unsterblichkeit ist so alt wie die Geschichte selbst. In der modernen Zeit hat diese Sehnsucht neue Formen angenommen, insbesondere durch technologische Fortschritte und Biohacking. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Bryan Johnson, ein Tech-Unternehmer, der Millionen in das Bestreben investiert, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder gar umzukehren. Die Netflix-Dokumentation “Don’t Die: Der Mann, der unsterblich sein will” bietet einen tiefen Einblick in Johnsons Leben und seine außergewöhnlichen Methoden.
Bryan Johnson erlangte zunächst Bekanntheit als Gründer von Braintree, einem Zahlungsabwicklungsunternehmen, das er 2013 für 800 Millionen US-Dollar an PayPal verkaufte. Mit dem erworbenen Vermögen wandte er sich dem Thema Langlebigkeit zu und initiierte “Project Blueprint”, ein Programm, das darauf abzielt, seinen biologischen Alterungsprozess zu verlangsamen oder sogar umzukehren. Johnson investiert jährlich etwa 2 Millionen US-Dollar in dieses Unterfangen und unterzieht sich dabei einer strengen täglichen Routine, die von Ernährung über Bewegung bis zu experimentellen medizinischen Behandlungen reicht.
Die von Chris Smith inszenierte Dokumentation “Don’t Die: Der Mann, der unsterblich sein will” begleitet Bryan Johnson über mehrere Jahre hinweg und dokumentiert seine Bemühungen, den Alterungsprozess zu stoppen. Der Film bietet einen intimen Einblick in Johnsons Alltag, seine Motivation und die wissenschaftlichen Grundlagen seiner Methoden. Zudem werden Experteninterviews eingebunden, die sowohl die Potenziale als auch die Risiken des Biohackings beleuchten.
Johnsons Tagesablauf ist minutiös geplant. Er beginnt seinen Tag um 4:30 Uhr morgens mit der Einnahme von 91 verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln, darunter Vitamine, Mineralstoffe und pflanzliche Extrakte. Anschließend folgt eine Lichttherapie, bei der er sich rotem und infrarotem Licht aussetzt, um die Zellregeneration zu fördern. Seine Ernährung besteht aus streng abgemessenen veganen Mahlzeiten, die exakt 1.977 Kalorien pro Tag liefern. Zudem absolviert er ein intensives Trainingsprogramm, das sowohl Kraft- als auch Ausdauerübungen umfasst.
Neben seiner täglichen Routine unterzieht sich Johnson verschiedenen experimentellen Behandlungen. Eine davon ist die sogenannte “Total Plasma Exchange” (TPE), bei der sein gesamtes Blutplasma entfernt und durch eine Albuminlösung ersetzt wird. Diese Methode soll dazu beitragen, altersbedingte Proteine und Toxine aus dem Blut zu entfernen und so den Alterungsprozess zu verlangsamen.
Zudem experimentierte Johnson mit der Einnahme von Rapamycin, einem Medikament, das ursprünglich als Immunsuppressivum bei Organtransplantationen eingesetzt wird, aber auch für seine potenziellen lebensverlängernden Eigenschaften bekannt ist. Nach fast fünf Jahren der Anwendung stellte er jedoch fest, dass die Nebenwirkungen, darunter Hautinfektionen und erhöhte Blutzuckerwerte, die potenziellen Vorteile überwiegen könnten, und entschied sich daher, die Einnahme zu beenden.
Ein weiteres kontroverses Experiment war der Austausch von Blutplasma mit seinem damals 17-jährigen Sohn. Johnson hoffte, durch die Infusion von jüngerer DNA seinen eigenen Alterungsprozess zu verlangsamen. Später gab er jedoch zu, dass diese Methode keine messbaren Vorteile brachte, und stellte die Praxis ein.
Rapamycin hat in der wissenschaftlichen Gemeinschaft aufgrund seiner potenziellen lebensverlängernden Eigenschaften Aufmerksamkeit erregt. Studien an Mäusen haben gezeigt, dass das Medikament die Lebensspanne verlängern kann, indem es den mTOR-Signalweg hemmt, der für Zellwachstum und -alterung verantwortlich ist. Beim Menschen ist die Datenlage jedoch weniger eindeutig, und die Anwendung von Rapamycin ist mit Risiken verbunden, darunter ein erhöhtes Infektionsrisiko aufgrund seiner immunsuppressiven Wirkung.
Johnsons Entscheidung, die Einnahme von Rapamycin zu beenden, unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die langfristigen Auswirkungen und potenziellen Risiken solcher Interventionen beim Menschen besser zu verstehen.
Der Austausch von Blutplasma, insbesondere von jüngeren Spendern, wurde als potenzielle Methode zur Verjüngung diskutiert. Tierstudien haben Hinweise darauf geliefert, dass junges Blut bestimmte altersbedingte Degenerationen verlangsamen kann. Beim Menschen sind die Ergebnisse jedoch bislang nicht schlüssig. Johnsons eigene Experimente mit Plasmaaustausch führten zu keiner signifikanten Verbesserung, was die Wirksamkeit dieser Methode infrage stellt.
Die Dokumentation wirft nicht nur medizinische, sondern auch ethische Fragen auf. Johnsons Experimentierfreude und der enorme finanzielle Aufwand für sein Projekt zeigen, wie ungleich der Zugang zu lebensverlängernden Technologien ist. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn nur eine Elite Zugang zu solchen Verfahren hat?
Ebenso stellt sich die Frage nach der psychologischen Dimension: Ist es gesund, dem Altern mit solcher Obsession entgegenzuwirken? Während Johnsons Methoden bei manchen Bewunderungen hervorrufen, gibt es auch Stimmen, die seinen Kampf gegen den biologischen Verfall als zwanghaft und unnatürlich empfinden.
Ein weiteres ethisches Dilemma betrifft die langfristigen gesellschaftlichen Konsequenzen. Wenn lebensverlängernde Maßnahmen für eine kleine Gruppe von Menschen zugänglich sind, könnte dies bestehende soziale Ungleichheiten weiter verstärken. Zudem gibt es Fragen zur ökologischen Nachhaltigkeit: Eine längere Lebensspanne bedeutet möglicherweise eine höhere Ressourcenbelastung für den Planeten.
Auch der Einfluss auf das psychische Wohlbefinden ist nicht zu unterschätzen. Das ständige Streben nach Optimierung und Kontrolle über den eigenen Körper kann zu einer mentalen Belastung werden. Die Dokumentation beleuchtet, wie Johnsons extremer Lebensstil nicht nur Bewunderung, sondern auch Skepsis hervorruft. Ist das ständige Streben nach Perfektion ein Gewinn für die Lebensqualität oder eine Illusion?
Die Netflix-Dokumentation “Don’t Die” gibt einen faszinierenden Einblick in die Welt des Biohackings und der radikalen Langlebigkeitsforschung. Bryan Johnsons Methoden zeigen, dass Altern nicht mehr als unausweichliches Schicksal betrachtet wird, sondern als Problem, das potenziell lösbar ist. Doch trotz aller Fortschritte bleibt die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, den Alterungsprozess maßgeblich aufzuhalten oder gar umzukehren.
Während einige seiner Maßnahmen wissenschaftlich fundiert sind, gibt es noch viele offene Fragen und Unsicherheiten. Fest steht jedoch, dass Bryan Johnsons Ansatz die Debatte über Langlebigkeit neu entfacht hat – und das Streben nach einem längeren, gesünderen Leben weiterhin ein zentraler Forschungsschwerpunkt der modernen Medizin bleiben wird.
Foto Credit: Bryan Johnsons