Titandioxid in der Pharmaindustrie: Warum der umstrittene Weißmacher noch immer in Medikamenten steckt

Longevity20. März 20251.4K Views

Titandioxid problematisch

Titandioxid (E171) ist seit Jahren Gegenstand wissenschaftlicher und regulatorischer Debatten. Während es in Lebensmitteln innerhalb der EU seit 2022 verboten ist, bleibt es in der Pharmaindustrie weiterhin erlaubt. Doch warum ist das so? Wir beleuchten die Hintergründe der Debatte um Titandioxid, blicken auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sicherheit des Stoffes, und schauen, welche Herausforderungen die Pharmaindustrie bei der Suche nach Alternativen bewältigen muss.

Was ist Titandioxid?

Titandioxid ist ein anorganisches Pigment, das in zahlreichen Produkten als Weißmacher verwendet wird. Aufgrund seiner Lichtbeständigkeit, hohen Deckkraft und chemischen Stabilität kommt es in Farben, Kunststoffen, Kosmetika und pharmazeutischen Produkten zum Einsatz. In Medikamenten dient Titandioxid vor allem dazu, Tabletten und Kapseln eine gleichmäßige Farbgebung zu verleihen und lichtempfindliche Wirkstoffe zu schützen.

Warum wurde Titandioxid in Lebensmitteln verboten?

Im Mai 2021 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Neubewertung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff vorgenommen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ein genotoxisches Risiko nicht ausgeschlossen werden kann. Genotoxizität bedeutet, dass eine Substanz das Erbgut von Zellen schädigen kann, was langfristig das Krebsrisiko erhöhen könnte.

Untersuchungen zeigen, dass insbesondere Nanopartikel von Titandioxid problematisch sein könnten. Diese können in den Körper gelangen, sich in Organen anreichern und potenziell Entzündungsreaktionen oder DNA-Schäden hervorrufen. Die EFSA betonte jedoch, dass noch weitere Forschungen nötig seien, um eine abschließende Risikobewertung vorzunehmen.

Da keine sichere Aufnahmemenge für den Menschen festgelegt werden konnte, entschied die EU-Kommission aus Vorsorgegründen, Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff zu verbieten. Seit August 2022 dürfen Lebensmittel in der EU kein Titandioxid mehr enthalten.

Warum wird Titandioxid in Arzneimitteln weiterhin verwendet?

Die Situation in der Pharmaindustrie gestaltet sich deutlich komplizierter als in der Lebensmittelbranche. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) führte eine Analyse durch, in der sie die Möglichkeiten einer Entfernung von Titandioxid aus Medikamenten untersuchte. Sie kam zu dem Schluss, dass Titandioxid für die Sicherheit, Stabilität und Bioverfügbarkeit vieler Arzneimittel eine wichtige Rolle spielt.

Ein sofortiges Verbot hätte gravierende Auswirkungen:

  • Stabilität von Medikamenten: Titandioxid schützt lichtempfindliche Wirkstoffe und verhindert eine vorzeitige Zersetzung.
  • Tablettenbeschichtung: Es sorgt für eine glatte Oberfläche, die das Schlucken erleichtert und einen gleichmäßigen Wirkstoffaustritt gewährleistet.
  • Fehlende Alternativen: Der Ersatz von Titandioxid erfordert eine Überarbeitung vieler Medikamentenformeln und aufwändige Neuzulassungen, was Jahre dauern könnte.
  • Versorgungsengpässe: Ein abruptes Verbot könnte dazu führen, dass viele lebenswichtige Medikamente vorübergehend nicht verfügbar wären.

Aufgrund dieser Herausforderungen entschied die EU, Titandioxid vorerst in Arzneimitteln zu belassen. Die EMA hat jedoch die Pharmaindustrie dazu aufgerufen, nach Alternativen zu suchen, um mögliche Gesundheitsrisiken langfristig zu minimieren.

Einfluss der Pharma-Lobby auf die Regulierung

Ein Plusminus-Bericht vom Dezember 2021 zeigt auf, dass intensives Lobbying der Pharmaindustrie dazu beigetragen hat, ein Verbot von Titandioxid in Medikamenten zu verhindern. Während die EFSA das Risiko von Titandioxid als hoch genug einstufte, um es in Lebensmitteln zu verbieten, argumentierten Interessenvertreter der Pharmaindustrie, dass es keine geeigneten Alternativen gebe. Kritiker bezweifeln diese Behauptung und fordern eine unabhängige Bewertung der Alternativen.

Der Bericht beleuchtet, wie die Einflussnahme der Industrie auf regulatorische Entscheidungen dazu führte, dass die EMA keine unmittelbaren Maßnahmen zur Einschränkung von Titandioxid in Arzneimitteln ergriff. Auch wird hinterfragt, ob wirtschaftliche Interessen über den Verbraucherschutz gestellt wurden. Experten fordern mehr Transparenz und eine verstärkte wissenschaftliche Kontrolle der Sicherheit von pharmazeutischen Zusatzstoffen.

Neue Erkenntnisse zu Nanopartikeln und Titandioxid in anderen Produkten

Laboranalyse zeigt: Mehr gefährliche Nanopartikel als erwartet

Besonders kritisch wird Titandioxid in Nanogröße betrachtet, da diese Partikel besonders leicht in den Körper gelangen und dort langfristige Schäden verursachen könnten. Bislang wurde geschätzt, dass der Nanoanteil im Titandioxid maximal 10 Prozent beträgt. Eine von Plusminus in Auftrag gegebene Laboranalyse widerlegte diese Annahme jedoch eindrucksvoll. In zehn untersuchten Produkten, die Titandioxid enthielten, war der Nanoanteil erheblich höher als erwartet. Spitzenreiter waren weiße Zuckerstreusel mit 67 Prozent und Kakaopulver mit 84 Prozent Nanopartikeln am Gesamttitandioxidgehalt.

Diese Ergebnisse verstärken die Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen von Titandioxid, insbesondere in Bereichen, in denen es verschluckt oder über Schleimhäute aufgenommen wird.

Titandioxid weiterhin in Arzneimitteln, Zahncreme und Kosmetika erlaubt

Während Titandioxid in Lebensmitteln seit August 2022 endgültig verboten ist, bleibt es in vielen anderen Bereichen nach wie vor im Einsatz. Besonders bedenklich ist, dass mehr als 30.000 Medikamente in der EU Titandioxid enthalten, obwohl Medikamente generell in lichtgeschützten Verpackungen verkauft werden. Dies stellt die Argumentation der Pharmaindustrie infrage, dass der Stoff unbedingt zur Stabilisierung der Wirkstoffe notwendig sei.

Auch Zahncreme ist weiterhin ein häufiger Träger von Titandioxid. Besonders problematisch ist dies bei Kindern, die beim Zähneputzen unbewusst Teile der Zahnpasta schlucken. Professor Gerhard Rogler, Direktor der Klinik für Gastroenterologie an der Uniklinik Zürich, verweist auf Studien, die gezeigt haben, dass Kinder besonders hohe Titandioxidwerte im Körper aufweisen.

Wie Sie Titandioxid vermeiden können

Wer Titandioxid vermeiden möchte, sollte sich bewusst mit den Inhaltsstofflisten seiner Produkte auseinandersetzen. Der Stoff ist auf Verpackungen als Titandioxid, titanium dioxide, E171 oder CI 77891 (bei Kosmetika und Zahnpasta) gekennzeichnet. Wer auf den Zusatzstoff verzichten will, kann gezielt auf Produkte ohne diese Deklaration zurückgreifen.

Zudem können Verbraucher Druck auf die Hersteller ausüben, indem sie diese direkt anschreiben und alternative Formulierungen fordern. Auch ein Gespräch mit dem Arzt oder Apotheker über titandioxidfreie Medikamente kann eine Möglichkeit sein, um den Einsatz der umstrittenen Substanz zu reduzieren.

Fazit

Titandioxid ist in Lebensmitteln aufgrund möglicher Gesundheitsrisiken verboten, doch in Medikamenten bleibt es weiterhin erlaubt. Der Grund dafür liegt in der Rolle, die der Stoff für die Stabilität und Sicherheit vieler Arzneimittel spielt. Ein abruptes Verbot würde angeblich zu erheblichen Problemen führen, weshalb sich Regulierungsbehörden für eine schrittweise Reduktion aussprechen.

Die Forschung zu Alternativen läuft, doch ein vollständiger Ersatz könnte noch Jahre dauern. Verbraucher sollten sich der Thematik bewusst sein und im Zweifelsfall ihren Arzt oder Apotheker um Rat fragen. Zudem zeigt die Einflussnahme der Pharma-Lobby, dass wirtschaftliche Interessen oft eine große Rolle in regulatorischen Entscheidungen spielen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann ein Verbot von Titandioxid in Arzneimitteln erfolgen wird.

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