Die menschliche Lebensspanne hat in den letzten Jahrhunderten bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Während im 19. Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung noch bei unter 50 Jahren lag, erreichen heute viele Menschen ein Alter von 80 Jahren oder mehr. Doch gibt es eine natürliche Obergrenze, die biologisch nicht überschritten werden kann? Oder könnte die moderne Medizin diese Grenzen weiter verschieben? Wissenschaftler sind sich uneinig.
In den vergangenen 150 Jahren hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in vielen Industrieländern mehr als verdoppelt. Im Jahr 1871 lag sie für Männer bei etwa 35,6 Jahren, während sie 2021 auf 78,5 Jahre anstieg. Bei Frauen stieg sie im gleichen Zeitraum von 38,5 auf 83,4 Jahre. Diese beeindruckende Entwicklung ist auf Fortschritte in Medizin, Hygiene und Ernährung zurückzuführen.
Die bislang am längsten dokumentierte Lebensspanne eines Menschen betrug 122 Jahre. Jeanne Calment aus Frankreich hielt diesen Rekord, bevor sie 1997 verstarb. Seitdem hat niemand dieses Alter überboten, was einige Forscher als Hinweis auf eine biologische Grenze interpretieren. Laut einer aktuellen Prognose von Michael Pearce und Adrian Raftery von der Universität Washington ist es jedoch wahrscheinlich, dass bis zum Jahr 2100 jemand das Alter von 130 Jahren erreichen könnte.
Eine in Nature Communications veröffentlichte Studie von Timothy Pyrkov und Kollegen untersuchte Gesundheitsdaten aus verschiedenen Ländern. Sie stellten fest, dass die sogenannte Resilienz des Körpers, also die Fähigkeit, sich nach Stress zu regenerieren, abnimmt. Sie errechneten, dass diese Erholungsfähigkeit zwischen 120 und 150 Jahren vollständig erlischt. Daraus schlossen sie, dass die maximale Lebensspanne des Menschen in diesem Bereich liegt.
Andere Wissenschaftler argumentieren, dass es keine feste Obergrenze gibt. Eine Analyse von Léo R. Belzile et al. aus dem Jahr 2021 deutet darauf hin, dass das menschliche Leben theoretisch unbegrenzt sein könnte, da die verbleibende Lebenszeit nach dem 109. Lebensjahr nicht nachweisbar weiter abnimmt.
Genetische Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung der Lebensspanne. Studien an Hundertjährigen haben gezeigt, dass bestimmte Gene mit einer längeren Lebensdauer in Verbindung stehen. Beispielsweise wurden genetische Variationen im FOXO3-Gen gehäuft bei langlebigen Menschen gefunden. Gleichzeitig beeinflusst die Epigenetik, also die Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt, wie schnell der Alterungsprozess voranschreitet.
Mit fortschreitender Wissenschaft könnte es in Zukunft möglich sein, Alterskrankheiten zu behandeln und den Alterungsprozess zu verlangsamen. Hierzu gehören Fortschritte in der Genmedizin, Zelltherapie und das Entfernen seneszenter Zellen, die sich nicht mehr teilen und Entzündungen im Körper auslösen. Experimente mit Metformin und Rapamycin deuten darauf hin, dass diese Medikamente den Alterungsprozess verlangsamen könnten. Die Idee der Verjüngung durch Zelltherapie oder genetische Manipulation befindet sich ebenfalls in der Entwicklung.
Die Verlängerung der menschlichen Lebensspanne wirft jedoch zahlreiche Fragen auf. Sollte das Leben unbegrenzt verlängert werden, könnte dies erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen haben. Wie würde eine steigende Anzahl an Hundertjährigen das Rentensystem beeinflussen? Welche Auswirkungen hätte eine längere Lebensspanne auf die Bevölkerungsdichte und Umwelt?
Ethische Debatten drehen sich zudem um die Frage, ob die Menschheit überhaupt in den natürlichen Alterungsprozess eingreifen sollte. Während einige Wissenschaftler argumentieren, dass ein verlängertes Leben ein natürlicher Fortschritt sei, sehen andere darin eine potenzielle Gefahr für das Gleichgewicht der Gesellschaft.
Die Debatte über eine natürliche Grenze der menschlichen Lebensspanne ist nicht abgeschlossen. Einige Wissenschaftler sehen eine klare Obergrenze bei etwa 120-150 Jahren, während andere glauben, dass medizinische Fortschritte diese Grenzen erweitern könnten. Sicher ist jedoch, dass ein gesunder Lebensstil, soziale Kontakte und medizinische Versorgung weiterhin entscheidend für ein langes Leben bleiben.
In der Zukunft könnte sich die Frage nicht nur darum drehen, wie alt ein Mensch maximal werden kann, sondern auch darum, wie er diese zusätzlichen Lebensjahre in bestmöglicher Gesundheit verbringen kann.
Quellen:
Hinweis: Dieser Artikel dient der wissenschaftlichen Information und ersetzt keine medizinische Beratung.