Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf Medikamente. Was bei einem Patienten wirkt, kann bei einem anderen zu schweren Nebenwirkungen führen oder gar keine Wirkung entfalten. Die Pharmakogenetik, ein Teilgebiet der personalisierten Medizin, will diese Diskrepanz überwinden, indem sie genetische Unterschiede in der Medikamentenverwertung untersucht. Besonders bei Lipidsenkern wie Statinen zeigt sich: Genetische Analysen könnten Therapieentscheidungen erheblich verbessern.
Trotz ihres großen Potenzials wird die Pharmakogenetik bisher nur vereinzelt angewendet. Ein Hauptgrund dafür ist der Mangel an standardisierten Richtlinien im klinischen Alltag. Viele Ärzte erhalten während ihrer Ausbildung keine umfassende Schulung zur Interpretation pharmakogenetischer Befunde. Hinzu kommt, dass die Erstattungsfähigkeit durch gesetzliche Krankenkassen lückenhaft ist. Nur wenige Tests werden routinemäßig übernommen.
Auch in der Praxis fehlen oft die Strukturen: Es gibt zu wenig spezialisierte Labore, zu wenig Kooperation zwischen Genetikern und behandelnden Ärzten. Dabei existieren seit Jahren international anerkannte Leitlinien, etwa vom Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC), die die Umsetzung erleichtern könnten.
Ein weiteres Hindernis ist die fehlende digitale Integration pharmakogenetischer Informationen in elektronische Patientenakten. Auch wenn ein Test durchgeführt wurde, fehlen oft die Schnittstellen, um die Ergebnisse effektiv im klinischen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen.
Gerade bei der Behandlung mit Lipidsenkern wie Simvastatin oder Atorvastatin zeigt sich der Nutzen genetischer Analysen. Das Enzym SLCO1B1 ist maßgeblich für die Aufnahme von Statinen in die Leberzellen verantwortlich. Menschen mit bestimmten Varianten dieses Gens haben ein erhöhtes Risiko für Muskelschäden, eine gefürchtete Nebenwirkung dieser Wirkstoffklasse. Ein einfacher Gentest könnte anzeigen, ob ein Patient zur Risikogruppe zählt.
In einer Metaanalyse (Ramsey et al., 2020) zeigte sich, dass Patienten mit Risikovarianten von einer Dosisanpassung oder einem Wechsel des Medikaments erheblich profitieren könnten. Studien zufolge lassen sich Nebenwirkungen um bis zu 30 % reduzieren. Auch die Therapietreue steigt, wenn Patienten weniger unter unerwünschten Wirkungen leiden.
Langfristig könnte die Pharmakogenetik dazu beitragen, Kosten im Gesundheitssystem zu senken. Weniger Nebenwirkungen bedeuten weniger Krankenhausaufenthalte, weniger Folgeerkrankungen und eine höhere Lebensqualität.
Ein klassisches Beispiel für den Nutzen pharmakogenetischer Analysen ist das Antikoagulans Warfarin. Dieses Blutverdünnungsmittel hat eine enge therapeutische Breite: Zu wenig wirkt nicht, zu viel kann lebensgefährliche Blutungen verursachen. Zwei Gene, CYP2C9 und VKORC1, beeinflussen, wie schnell der Wirkstoff abgebaut und wie empfindlich der Körper auf ihn reagiert. In einer randomisierten Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit genetisch angepasster Dosierung seltener kritische INR-Werte aufwiesen.
Auch bei Schmerzmitteln wie Codein spielt die Pharmakogenetik eine Rolle. Das Enzym CYP2D6 wandelt Codein in Morphin um. Bei sogenannten Ultra-Rapid-Metabolisierern geschieht dies so schnell, dass bereits therapeutische Dosen zu einer Morphin-Überdosierung führen können. Allerdings haben Poor Metabolizer kaum einen analgetischen Nutzen. Gentests können helfen, geeignete Alternativen wie Morphin oder Tramadol zu finden.
In der Onkologie sind pharmakogenetische Tests bereits weiterverbreitet. Bei Brustkrebspatientinnen wird vor der Gabe von Tamoxifen überprüft, ob das Enzym CYP2D6 ausreichend aktiv ist. Nur dann kann Tamoxifen in seine aktive Form umgewandelt werden. Auch hier lässt sich die Therapie durch genetische Tests präzise steuern.
Ein pharmakogenetischer Test kostet je nach Umfang und Anbieter zwischen 150 und 400 €. Dabei wird üblicherweise ein Abstrich der Mundschleimhaut genommen, aus dem die DNA extrahiert wird. Die Analyse erfolgt in spezialisierten Laboren und dauert in der Regel wenige Tage.
Anbieter wie PharmGenetix bieten solche Tests inzwischen für eine Vielzahl von Medikamenten an. Besonders praktisch: Die Ergebnisse werden in einem digitalen Medikationspass gespeichert, den der Patient Ärzten zur Verfügung stellen kann. So lassen sich Wechselwirkungen und genetische Risiken auch bei späteren Medikationsentscheidungen berücksichtigen.
Einige private Krankenversicherungen erstatten die Kosten bereits, gesetzlich Versicherte müssen meist selbst zahlen. Eine vorherige ärztliche Beratung ist empfehlenswert, um die Relevanz des Tests für die individuelle Medikation abzuschätzen.
Einige Apotheken bieten inzwischen ebenfalls pharmakogenetische Beratung in Kooperation mit Fachlaboren an. Auch Hausärzte können entsprechende Proben entnehmen und einsenden lassen. Wichtig ist dabei die Qualität der Interpretation – idealerweise durch einen Facharzt für klinische Pharmakologie oder Humangenetik.
Die Pharmakogenetik bietet einen klaren Mehrwert für die Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten. Gerade bei Lipidsenkern wie Statinen könnte sie helfen, schwerwiegende Nebenwirkungen zu vermeiden und die Therapiezufriedenheit zu steigern. Damit dieses Potenzial ausgeschöpft werden kann, braucht es jedoch mehr Aufklärung, bessere Schulung des medizinischen Personals und klare regulatorische Vorgaben. Die personalisierte Medizin ist keine Zukunftsvision mehr – sie beginnt mit einem einfachen Gentest.
Zudem zeigt sich: Pharmakogenetische Tests sind kein Luxusprodukt, sondern können helfen, Gesundheitssysteme effizienter und menschlicher zu gestalten. Ein flächendeckender Einsatz wäre ein Gewinn für Patienten, Ärzte und Kostenträger gleichermaßen.
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