Alkohol ist in Deutschland allgegenwärtig. Ob beim Feierabendbier, dem Glas Wein zum Essen oder dem Sekt zum Anstoßen – Alkohol gehört für viele Menschen zum Alltag. Doch während der Konsum gesellschaftlich akzeptiert ist, werden die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgen oft unterschätzt. Aktuelle Zahlen zeigen: Der Alkoholkonsum in Deutschland steigt, und die damit verbundenen Kosten sind enorm. Wir werfen einen kritischen Blick auf die „Bundesrepublik Alkohol“ und zeigen, wie ein bewusster Umgang mit Alkohol aussehen kann.
Laut dem Jahrbuch Sucht 2023 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) konsumieren Erwachsene in Deutschland durchschnittlich 10,7 Liter reinen Alkohol pro Jahr. Das entspricht etwa 213 Litern Bier oder 108 Litern Wein. Besorgniserregend ist, dass der Konsum in den vergangenen Jahren wieder gestiegen ist – insbesondere bei jungen Erwachsenen und Frauen.
Diese Zahlen verdeutlichen, dass Alkohol in Deutschland nach wie vor ein großes Problem darstellt – trotz aller Aufklärungskampagnen und gesetzlicher Beschränkungen.
Alkohol verursacht nicht nur gesundheitliche Schäden, sondern auch enorme volkswirtschaftliche Kosten. Laut einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) belaufen sich die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums in Deutschland auf 40 Milliarden Euro pro Jahr.
Während die volkswirtschaftlichen Kosten auf die Bürger verteilt werden (steigende Krankenkassenbeiträge & Co), profitiert bei den Gewinnen vorwiegend der Staat: Die Alkoholsteuer bringt jährlich 3,2 Milliarden Euro ein. Einnahmen, die nur in homöopathischer Weise in Prävention reinvestiert werden…
Um die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkohol besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die physiologischen Prozesse. Dr. Ruta Nürnberger, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie an der My Way Betty Ford Klinik, erklärt:
„Alkohol wird vom Körper als Gift wahrgenommen. Bereits beim ersten Schluck setzt eine Kaskade von physiologischen Veränderungen ein. Der Alkohol gelangt über die Magenschleimhaut in den Blutkreislauf und verteilt sich im gesamten Körper, einschließlich des Gehirns und der Leber. Die Leber beginnt sofort, den Alkohol abzubauen, wobei toxische Substanzen wie Acetaldehyd entstehen. Diese sind für viele der negativen Auswirkungen verantwortlich.“
Ein interessanter Aspekt im globalen Vergleich von Krebserkrankungen ist die deutlich niedrigere Krebsrate in vielen arabischen Ländern. Während in Deutschland und anderen westlichen Ländern Krebs eine der häufigsten Todesursachen ist, liegen die Zahlen in Ländern wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Oman deutlich niedriger. Ein wesentlicher Faktor dafür ist der geringe Alkoholkonsum in diesen Ländern, der eng mit religiösen und kulturellen Normen verbunden ist.
Alkohol ist ein bekannter Risikofaktor für verschiedene Krebsarten, darunter Leber-, Speiseröhren-, Brust- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. In arabischen Ländern, wo der Konsum von Alkohol aufgrund des Islams stark eingeschränkt oder sogar verboten ist, entfällt dieser Risikofaktor weitgehend. Studien zeigen, dass in Ländern mit strengen Alkoholregulierungen die Krebsraten in alkoholbedingten Kategorien signifikant niedriger sind.
Machen wir uns nichts vor: in einer alkoholisierten Gesellschaft wird man noch einige Dekaden als kauzig angesehen werden, sofern man dem Alkohol in der Gesellschaft den Rücken kehrt. Dennoch ist es unfassbar wohltuend und lebensverändernd, wenn man dabei bewusst die Veränderungen in seinem Körper wahrnimmt. Ein Buch, das mich in meiner Entscheidung begleitet hat, ist der Bestseller von Felix Hutt. Der Investigativ-Journalist hat seinen Selbstversuch auf unverblümt authentische Weise in „Ein Mann, ein Jahr kein Alkohol“ niedergeschrieben: kein Bier zum Feierabend, kein Sekt an Silvester, keine Weinschorle beim Sommerfest. Es beschreibt nicht nur die persönlichen Hürden, sondern auch die gesellschaftlichen Mechanismen, die mit dem Alkoholkonsum verbunden sind. Der Selbstversuch wird zur tiefgehenden Reflexion über Gruppenzwang, Männlichkeitsbilder und soziale Rituale.
Hutt beschreibt, dass die erste Zeit ohne Alkohol eine Mischung aus Euphorie und Unsicherheit war. Einerseits fühlte er sich befreit, andererseits war ihm nicht bewusst, wie viele Anlässe eigentlich mit Alkohol verknüpft sind. Ein Besuch im Restaurant? Der Kellner fragt automatisch nach einem Aperitif. Ein Abend mit Freunden? Die Frage „Warum trinkst du nichts?“ kommt unweigerlich. Gerade das gesellschaftliche Umfeld war eine der größten Herausforderungen. Wie er in seinem Buch schildert, wird Alkoholverzicht oft als ungewöhnlich oder sogar verdächtig wahrgenommen. Die Reaktionen reichten von wohlwollendem Interesse bis zu Unverständnis und Gruppenzwang.
Meine Erfahrung: Ich stimme zu, allerdings ging es leichter als gedacht. Der beste Freund trinkt beim Treffen plötzlich auch nur 0,0-Bier, auf der Messe erklärt man den Versuch kurz und das Thema ist für die meisten Umstehenden erledigt. Im Prinzip geht es darum, auf die Meinung der anderen weniger Wert zu legen.
Ein zentrales Thema im Buch ist der gesellschaftliche Druck. Wer auf Alkohol verzichtet, fällt auf. Während Vegetarismus oder der Verzicht auf Zucker weitgehend akzeptiert sind, sorgt ein alkoholfreier Lebensstil oft für Diskussionen. Hutt beschreibt, wie ihm auf Partys oder in Restaurants immer wieder die gleichen Fragen gestellt wurden: „Bist du krank?“, „Hast du ein Problem mit Alkohol?“ oder „Ein Glas kann doch nicht schaden.“
Meine Erfahrung: Alkohol ist zwar tief in unserer Kultur verankert, aber in eine Rechtfertigungsschleife bin ich nicht geraten. Ungefragt habe ich nicht über die positiven Effekte meiner Abstinenz gesprochen, nach Rückfragen jedoch Plädoyers für einen Weg ohne Zellgift geworben. Zu offensichtlich erfreue ich mich über gepurzelte Pfunde, gestiegene Stimmung und plötzliches, frühmorgendliches Planungsverhalten …
Neben den gesellschaftlichen Erkenntnissen machte Hutt auch körperliche Erfahrungen, die ihn überraschten. In den ersten Wochen litt er unter Schlafstörungen und Kopfschmerzen – ein Zeichen dafür, wie sehr sich sein Körper an regelmäßigen Alkoholkonsum gewöhnt hatte. Doch nach einigen Monaten spürte er eine deutliche Verbesserung seiner Energie, seiner Konzentrationsfähigkeit und seines Wohlbefindens.
Ein Jahr ohne Alkohol brachte ihm:
Meine Erfahrung: Ich teile seine Beobachtungen, unterstreiche aber den besseren Schlaf doppelt und dreifach. Ich spürte schon vor dem Versuch, dass ich nach Alkoholkonsum schlechter schlief. Hatte ich zu viel getrunken, kam regelmäßig das nächtliche Erwachen nebst erhöhter Herzfrequenz hinzu. Das hörte mit der Abstinenz abrupt auf. Dazu kam die höhere Energie (Mittagsmüdigkeit ist Geschichte) nebst gestiegenem Selbstbewusstsein. Insgesamt sind mittlerweile auch 4 kg gepurzelt. Es begleitet einen der latente Stolz, etwas geschafft zu haben, was dem eigenen Körper unfassbar guttut.
Natürlich war das Jahr nicht frei von Herausforderungen. Hutt gibt offen zu, dass es Momente gab, in denen er kurzfristig aufgegeben hat. Das Oktoberfest bezeichnet er im Buch als „ultimativer Endgegner“ – und geht ihm schließlich auf den Leim. Daraus resultieren einige Tage feuchtfröhlicher „Joker“, den er sich allerdings auch zu Beginn des Experiments zugestanden hatte. Je länger das Experiment andauerte, desto bewusster wurde ihm, dass der eigentliche Gewinn nicht im Verzicht, sondern in der gewonnenen Selbstbestimmung lag. Schließlich legte er die „Joker“ ad acta.
Meine Erfahrung: Die „Joker“ erschienen mir schlüssig. Nur verhielt es sich bei mir so, dass ich vor 15 Jahren bereits mit dem Rauchen aufgehört hatte – von einem Tag auf den anderen. Es scheint bei mir so zu sein, dass ich mit Dingen erst aufhöre, wenn ich eine tiefe Überzeugung verspüre. Ich hatte mich (durch unruhigen Schlaf und zunehmendem Gesundheitsbewusstsein) bereits seit langer Zeit mit dem Gedanken getragen, dem Alkoholkonsum ein Ende zu bereiten. So benötigte ich diese Joker gar nicht groß. Ich habe (nach dreimonatiger Abstinenz) auf einer Messe in einem Brauhaus zwei Bier getrunken, die mir tatsächlich nicht besonders gut schmeckten, und zudem die Nacht verdarben. Das war dann der endgültige Ausstieg. So einfach wie unspektakulär.
Hutts Buch ist mehr als nur ein Erfahrungsbericht. Es ist eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft und ihrer Beziehung zu Alkohol. Warum ist es so schwer, nüchtern zu bleiben? Warum wird Alkoholverzicht als abnormal wahrgenommen? Und warum wird ein Mensch, der nicht trinkt, so oft in die Defensive gedrängt?
Seine Schlussfolgerung: Es braucht ein Umdenken. Nicht im Sinne eines generellen Alkoholverbots, sondern in einer offeneren, bewussteren Diskussion darüber, wie und warum wir trinken.
Meine Schlussfolgerung: Ich vermisse keine alkoholischen Getränke. Es ist ähnlich wie beim Rauchverzicht. Ich schaue konsumierenden Menschen dabei zu und bedauere sie innerlich. Die Vorteile sind einfach zu vielfältig, um es jemals wieder umzukehren. Anscheinend war ich ein Genusstrinker, zumal mir das 0,0 Bierchen zum Tagesabschluss genauso viel Freude bereitet.
Ich stelle mir nur die Frage, weshalb es politisch beinahe hysterische Nikotinverbote gegeben hat, das Thema Alkohol jedoch einfach so durchgewinkt wird. Wie schrieb ein Autor so treffend in einem Buch: Mir ist (anders als bei Alkohol) kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Nikotinsüchtiger einen tödlichen Unfall verursacht oder seine Familie ausgelöscht hat, bloß weil er eine Fluppe zu viel geraucht hatte …
Felix Hutt hat mit Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol nicht nur eine persönliche Reise dokumentiert, sondern auch einen gesellschaftlichen Nerv getroffen. Sein Buch zeigt, dass Nüchternheit nicht nur eine individuelle Entscheidung ist, sondern auch eine Herausforderung im sozialen Gefüge. Ein inspirierendes Buch für alle, die sich mit ihrem eigenen Konsumverhalten auseinandersetzen möchten – oder einfach neugierig sind, wie es ist, ein Jahr ohne Alkohol zu verbringen.
Ein Jahr ohne Alkohol zu leben, ist für viele eine transformative Erfahrung. Die positiven Effekte auf Körper und Geist, die neuen Perspektiven in sozialen Beziehungen und das gesteigerte Bewusstsein für die eigene Gesundheit machen den Verzicht für viele lohnend. Ob als persönlicher Selbstversuch oder im Rahmen von Initiativen wie dem “Dry January” – der Alkoholverzicht eröffnet neue Wege zu einem bewussteren und erfüllteren Leben. Vielleicht für immer.
Wer seinen Alkoholkonsum reduzieren oder ganz darauf verzichten möchte, findet inzwischen eine Vielzahl von Ressourcen. Hier sind jeweils drei empfehlenswerte Bücher, Blogs und Drinks zum Thema „Alkoholfrei“:
„Ein Mann, ein Jahr, kein Alkohol.“ von Felix Hutt
Felix Hutt stellt zu seinem 44. Geburtstag vor allem das männliche Trinkverhalten infrage, den Gruppenzwang, die von den Vätern vererbten Verhaltensmuster.
Video zur Buchbesprechung
„Nüchtern“ von Daniel Schreiber
Schreiber erzählt von den Mechanismen der Selbsttäuschung, die es so vielen Menschen erlauben, ihr Alkoholproblem zu ignorieren. Schön, einfühlsam.
„Rausch und Klarheit“ von Mia Gatow
Der Alkohol, meine Familie, die Gesellschaft und ich – »Eine grandiose Ballade – über Abhängigkeit, Sehnsucht und Liebe.«
Video zur Buchbesprechung
„Ohne Alkohol mit Nathalie“
Ein Blog, der Erfahrungsberichte, Tipps und wissenschaftliche Fakten zum Thema Alkoholverzicht bietet.
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„Sucht & Süchtig“
In dem Podcast Sucht & Süchtig geht es nicht nur um alkoholfrei, sondern um Suchtproblematiken im Allgemeinen.
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„Nüchtern betrachtet“
Dieser Podcast ist für alle, die vom Alkohol loskommen wollen!
Ich selber habe genug getrunken für mindestens zwei Leben.
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Weizenbier 0,0 mit einem Schuss Bananensaft.
Im alkoholischen Weizen hätte ich das nie zugelassen – was für ein Fehler!
Freixenet 0,0 Low Calorie
Unfassbar lecker mit Mango- und Maracuja-Noten.
Martini Vibrante
Einfach nur mit Tonic Water, Eiswürfeln und einer Orangenscheibe